Dienstag, 23. Oktober 2012

Abschied von einem guten Freund...


Es gibt nur wenig Menschen, die es schafften, mich mit einigen wenigen Worten innerlich derart zum Kochen zu bringen wie er. Es gibt nur wenig Menschen, für die ich mich so häufig fremdgeschämt habe wie für ihn, wenn er mal wieder einen seiner Witze an völlig unpassender Stelle riss. Es gibt nur wenig Menschen, deren messerscharfe Kritik mich in verschiedenen Lebenssituationen dermaßen aufwühlte. Eigentlich - so könnte man meinen - einer der Menschen, von denen man sich instinktiv lieber fern hält, anstatt sie allzu zu nah an sich heran zu lassen. Und doch war er mir mein Leben lang ein guter und treuer Weggefährte: mein alter Heimatpastor Leo Schorr.
1976 wurde ich von ihm getauft, 1984 zur Erstkommunion geführt, danach begann ich bei ihm mit großer Begeisterung meine Messdiener-Laufbahn. Als er 1987 Wadgassen verließ und eine andere Pfarrei übernahm, da brach für nicht wenige von uns eine Welt zusammen.
Am vergangenen Wochenende haben wir ihn nun zu Grabe getragen, und ich konnte bei der Beerdigung dabei sein. Während des beeindruckenden Requiems mit Weihbischof Robert Brahm, zu dem hunderte Menschen teilweise von weither angereist waren, spürte ich, wie wichtig es für mich war, mich in dieser Feier von ihm verabschieden zu können. So viele alte Erinnerungen an gute Gespräche und Begegnungen kamen in mir hoch, und die oben erwähnten Unmöglichkeiten ließen mich schmunzeln, denn auch sie machten Leo letztlich zu dem Menschen, der er für uns war.  
Neben allen manchmal flapsigen Oberflächlichkeiten hatte er auch eine andere, ganz zarte und empfindsame Seite, die mich immer wieder berührte. Seine hervorragenden Predigten, aber auch die vielen Stunden, in denen ich mit ihm über Gott und die Welt und die Situation in der Kirche diskutierte, regten mich immer wieder zum Nachdenken an und ließen meinen Glauben reifen. Vereinfachende, billige Antworten auf wesentliche Fragen unseres Lebens waren seinem unbequemen Geist zuwider, und so war es für mich immer wieder ein Geschenk, wenn er mich hier und da mitnahm auf seine leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit. Und ab und zu kam es sogar vor, dass er mich nach einer angeregten Diskussion noch einmal anrief und sagte: "Ursula, in dieser Sache muss ich dir doch Recht geben." 
Auch wenn ich ihn posthum nicht verherrlichen möchte, so wurde mir doch am Samstag schlagartig bewusst: mit Leo Schorr hat unsere Kirche und Welt ein echtes Original verloren. Menschen wie ihn haben wir heute bitter nötig. Menschen, die sich trauen, Fehler zu machen. Menschen, die hier und da auch Zumutung sind. Menschen, die uns in ihrem Anders-Sein aus unserer Bequemlichkeit herausreißen. Menschen, die ihrem Weg auch dann treu bleiben, wenn sie den Stern vor Augen verloren haben. Eines weiß ich jetzt schon so sicher wie das Amen in der Kirche: Leo wird mir fehlen - als kritische Instanz, aber auch und vor allem als guter Freund.

In seiner Predigt erzählte ein aus meiner Heimatpfarrei stammender Priester am Samstag eine kleine Anekdote aus dem Leben von Leo Schorr: Als er im Priesterseminar war und in den Semesterferien nach Hause kam, fragte ihn ein einfacher Mann auf der Straße: "Unn, wie weit bischde dann mit da Mess?" Leos Antwort: "Ich bin bei der Wandlung."
Möge Gott ihm nun die vollkommene Wandlung ins Ewige Leben schenken!

Sr. M. Ursula

3 Kommentare:

  1. Hallo Sr. Ursula,
    im ersten Moment dachte ich, es sei ein Nachruf auf den Opa.
    Es war ja auch der "geistige Opa", der gestorben ist.
    Und es ist ein guter Nachruf.
    Mein Beileid
    Gisela

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  2. Liebe Sr. Ursula,
    Ihr ehrlicher Nachruf gefällt mir. Besonders der letzte Absatz berührt mich!
    Herzliche Grüße
    Barbara Stanetzek

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  3. Hallo sehr schön geschrieben Ihren Text so werden Sie Ihren Leo noch lange in Errinerung behalten.

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