Mittwoch, 1. Juni 2011

vom Guten überwältigt

Die Glaubensboten der frühen Christenheit haben nichts zu lachen - sie werden verfolgt und gedemütigt, misshandelt und gefesselt ins Gefängnis geworfen. Da bestürmen sie den Himmel, dass Gott ihnen zur Hilfe eile und das an ihnen geschehene Unrecht räche. Und prompt gibt es ein gewaltiges Erdbeben, die Türen des Gefängnisses springen auf, die Jünger können ungehindert fliehen - nur der arme Wärter, der hat leider Pech gehabt. Ihn kostet die Flucht seiner Gefangenen das Leben, aber was soll's - Hauptsache die "Guten" haben überlebt.

…so oder so ähnlich hätte die Geschichte, die uns im 16. Kapitel der Apostelgeschichte (Apg 16, 22-34) überliefert ist, wahrscheinlich geklungen, wenn unsereins das Drehbuch geschrieben hätte. Gestern Abend hörten wir sie in der Hl. Messe, und mir kam dieses schrille Szenario geradezu komisch vor. Es wird uns dort von Paulus und Silas berichtet, die durch ihre Taten und Worte bei den Philippern öffentliches Ärgernis erregen. Sie werden von den obersten Beamten ihrer Kleider beraubt und geschlagen, schließlich ins Gefängnis geworfen, ja sogar mit Fußfesseln in das innerste Gefängnis, gut bewacht von einem Wärter - schließlich weiß man ja bei Gefangenen dieser Art nie, ob es ihnen nicht durch einen Trick vielleicht doch noch gelingt, die Fliege zu machen. Jeder normale Mensch würde in einer solchen ausweglosen Situation wahrscheinlich furchtbar jammern und klagen, doch was machen unsere beiden Helden? Beginnen in der Mitte der Nacht im finstersten Kerker damit, Loblieder auf Gott zu singen. Und das Ganze muss sich wohl tatsächlich auch noch schön angehört haben, denn es ist uns extra berichtet, dass die anderen Gefangenen ihnen zugehört haben. Die hatten Nerven, das muss man ihnen lassen. Und dann kommt der große Showdown: der Lobgesang mündet in ein rettendes, gewaltiges Erdbeben, das die Grundmauern des Gefängnisses erschüttert - mit einem Mal springen die Türen auf und die Fesseln fallen ab - was für ein gewaltiges Bild! Hallo Ihr Beiden, ihr seid frei - wie wär's mit…
...ganz schnell Abhauen?? Aber nein. Die arme Socke von Gefängniswärter will sich schon vor lauter Verzweiflung das Leben nehmen, als Paulus ihm zuruft: "Keine Panik, schau, wir sind doch noch alle da!" Freiwillig bleiben sie, das Leben dieses einen Menschen ist ihnen so kostbar, dass sie dafür ihre neu gewonnene Freiheit opfern. Und ich frage mich: kann es eigentlich eine größere innere Freiheit geben, als die dieser beiden "Gefangenen"?
Und plötzlich komme ich mir vor wie in einer anderen Welt: der Gefängniswärter ist überwältigt, nein, nicht durch Gewalt, sondern durch die (Voll-)Macht des Geistes Gottes, mit der er es hier zu tun bekommt. Das Lebenszeugnis dieser beiden tapferen Jünger ist für ihn so durch und durch glaub-würdig, er spürt, dass diese Menschen ihm den Weg zum wahren Leben weisen können. Noch in der gleichen Nacht bricht er auf aus seinem bisherigen Leben, aus seinem Gefängnis, führt die Jünger hinaus und lässt sich von ihnen das Wort Gottes verkünden. Und siehe, das Happy-End der Geschichte im göttlichen "Drehbuch" besteht nicht darin, dass die Jünger freigekommen sind - die waren nebenbei bemerkt doch niemals unfrei - sondern der Gefängniswärter, und zwar nicht nur er: "Und er führte sie hinauf in sein Haus, ließ ihnen den Tisch decken und jubelte, an Gott gläubig geworden, mit seinem ganzen Haus." (Apg 16,24)

"Lamm Gottes wahres Opferlamm,
durch das der Hölle Macht zerbrach.
Den Kerker hast du aufgesprengt,
zu neuem Leben uns befreit." 

So haben wir in den vergangenen Wochen immer und immer wieder im Hymnus der Vesper gesungen. Dass etwas von dieser befreienden Sprengkraft des Glaubens auch durch unser Leben mitten in dieser Welt und Zeit erfahrbar wird, das erbitte ich in den kommenden neun Tagen, wenn wir in der Pfingstnovene um die Herabkunft des Heiligen Geistes auf Kirche und Welt beten.
Sr. M. Ursula

3 Kommentare:

  1. Moin,

    also ich muss schon zugeben, ich freu mich immer wieder über neue Beiträge von Euch. Danke auch für diesen Impuls, so hab ich die Stelle zumindest noch nie gelesen.
    Die Lektüre hier macht mich tatsächlich neugierig auf den Sommer :-)

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  2. Liebe Sr. M. Ursula,

    ich bin gerade so etwas wie sprachlos. Sie haben eine wunderbare Art diese Bibelstelle darzustellen und auszulegen. Und geben mir damit eine ganz neue Sichtweise auf diesen Text. Vielen, vielen herzlichen Dank für ihr Teilen!!!!

    Gottes reichen Segen für sie alle!

    Herzliche Grüße
    aus dem Saarland

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  3. Liebe Schwester Ursula,

    ganz sicher tragen solche erfrischenden Textauslegungungen mit dazu bei, die befreiende Sprengkraft des Glaubens erfahrbar zu machen - ich freue mich immer über die Beiträge hier und bete mit um die Herabkunft des Heiligen Geistes!

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