Donnerstag, 6. März 2014

Cristo te ama

Fastenbrief unserer Generalpriorin Sr. M. Scholastika

Comarapa, zur österlichen Bußzeit 2014
+ Liebe Schwestern,
wie bereits im Advent erreicht Sie auch der Brief zur Fastenzeit aus Bolivien, aus Tagen, die voll sind von Eindrücken, von Begegnungen, die unter die Haut gehen.
Dieses T-Shirt haben wir in Santa Cruz an der Schule unserer Schwestern entdeckt:
„Cristo te Ama“, „Christus liebt Dich!“
Jugendliche tragen es in einer großen Selbstverständlichkeit. Vielleicht vermag die Aufschrift für manche jungen Menschen hier durch das wiederholte Lesen oder durch die häufige Präsenz auf dem Schulhof ein Wort werden, das Bedeutung bekommt für das eigene Leben.  Hoffentlich. Ein Wort, das nicht nur Wort bleibt, sondern eingeht ins Herz als Grundaussage, die trägt, stärkt und formt. 

„Christus liebt Dich!“ Papst Franziskus schreibt in seiner diesjährigen Botschaft zur Fastenzeit: es ist „eine Liebe, die Gnade, Großzügigkeit, Wunsch nach Nähe ist und die nicht zögert, sich für die geliebten Geschöpfe hinzugeben... Liebe bedeutet, das Schicksal des Geliebten voll und ganz zu teilen. Die Liebe macht einander ähnlich, sie schafft Gleichheit, reißt trennende Mauern nieder und hebt Abstände auf. Und eben dies hat Gott mit uns getan... Was uns wahre Freiheit, wahres Heil und wahres Glück schenkt, ist seine barmherzige, zärtliche und teilnahmsvolle Liebe.“

Das Kreuz, das uns auf Schritt und Tritt in unseren Räumen begegnet, ist das stärkste Zeichen dieser Liebe, die den Tod nicht scheute, um uns ins Heil, um uns zum Vater zu holen.

Liebe Schwestern,
von „GOTT“ schreibt Martin Buber in seinem Buch „Begegnungen“:
„Es ist das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden.“
Vielleicht denken wir zuweilen auch so über die Liebe, die wir in der Liturgie feiern, die uns in unzähligen Texten begegnet und die uns Tag für Tag aufgetragen ist. Sie wird zu oft in den Mund genommen. Wir wissen um die Mühe, die ein liebendes Dasein bedeutet, damit es nicht nur Wort bleibt und Ideal, sondern sich zeigt in den alltäglichen Verrichtungen und im Blick auf unsere Mitschwestern, Mitarbeitenden und auf alle Menschen, die uns ausnahmslos als Brüder und Schwestern an unsere Seite gegeben sind.
Diese Liebe mag dann und wann gar eine tiefgreifende Entscheidung des Herzens fordern, wenn seelische Verwundungen schlecht heilen wollen, wenn Erfahrungen aus der Vergangenheit immer noch das Herz besetzen, eine Entscheidung, die unser ganzes Leben zu ändern vermag:
„Ja, ich will lieben! Ich will es versuchen!
GOTTES Liebe möge auch durch mich hindurch in diese Welt kommen dürfen.“
Dann, gerade dann erfahren wir, dass die Liebe nichts Oberflächliches ist, nichts Sentimentales:
sie führt uns an die Grenzen der eigenen Befriedigung und eröffnet uns doch als einzige den Raum des Friedens. Die Worte des hl. Paulus leuchten uns darin auf:
Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder ein noch aus und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. (2 Kor 4,8f)

Im Tiefsten wissen wir: Das Übermaß an Kraft kommt nicht von uns, sondern von GOTT selbst. Letzthin las ich:
Müdigkeit ist kein Hindernis, in der Stille zu sitzen.
Aber zu meinen, Müdigkeit sei ein Hindernis, das ist ein Hindernis.
Wenn man aufhört mit dem Meinen, kann man, wie müde man auch sei,
mit Müdigkeit sehr wohl in der Stille sitzen.
Man ist dann endlich zu müde, um sich zu stressen und etwas erreichen zu wollen.
Zu müde, um an seinem Atem herumzuzerren und ständig über sich (oder andere) zu meckern.
Vielleicht gar zu müde, um zu denken.
Dann bleibt einem nur, sich für dieses Augenblicklein sachte hinzugeben an die Stille.

Eine befreiende Erfahrung, finde ich. Müdigkeit können wir ersetzen mit Erschöpfung, mit Lustlosigkeit, Langeweile, Widerstand, mit all dem, was uns ablenken und wegholen will vom stillen, betenden Verweilen vor Gott.

Wenn wir genauer hinschauen:
Was hilft uns, nun in der Fastenzeit persönliche Gewohnheiten zu überdenken? Nur die Liebe.
Was hilft, uns da und dort zurückzunehmen und auf dieses und jenes zu verzichten? Nur die Liebe.
Welche Kraft stärkt uns, Gleiches nicht mit Gleichem zu vergelten, negativem Denken keinen Raum zu geben, vernichtende Worte nicht über die Lippen kommen zu lassen? Die Liebe.
Was nicht von der Liebe getragen und motiviert ist, hat keine Dauer, wird Pflicht, die uns nicht zu wandeln vermag und die uns eher in die Verbissenheit führt.

Noch einmal Papst Franziskus aus seiner Fastenbotschaft:
„Es wird uns gut tun, uns zu fragen, worauf wir verzichten können, um durch unsere Armut anderen zu helfen und sie zu bereichern. Vergessen wir nicht, dass wahre Armut schmerzt: Ein Verzicht, der diesen Aspekt der Buße nicht einschließt, wäre bedeutungslos. Ich misstraue dem Almosen, das nichts kostet und nicht schmerzt.“
Liebe tut immer auch weh. Taten der Liebe gehen uns an die Nieren; sie führen uns weg von Rechtfertigungen und Vorwürfen, mit denen wir uns „schön“ halten wollen. Diese Liebe kostet uns auf eine eigene Weise auch das Leben.

Der Verzicht trägt noch eine weitere Dimension in sich:
Im Vielerlei lehrt er uns das Wenige verkosten, das uns den wahren Reichtum unseres Lebens nahebringt. Bei Romano Guardini habe ich folgende einfache und doch so bedeutsame Erfahrung gefunden:
„Zuweilen werden einem neue Augen geschenkt. Heute ging es mir so, als ich (im Zug) am Fenster saß und nach Süden fuhr. Die Augen hatten in der Stadt gefastet, immer nur Mauern gesehen, Straßen, Stadtmenschen und im Übrigen bedrucktes Papier. Nun aber blickten Wälder und verschneite Äcker her, und alles war neu. Schön ist das, wenn so Gestalten innig eindringlich hervortreten ... Es kommt einem warm und froh ums Herz, und man möchte mit der Hand darüber streichen und sie liebkosen.“

Das Fasten schenkt uns neue Zugänge zu dem, was wir täglich nutzen und zu uns nehmen. Das uns Gegebene verliert an Selbstverständlichkeit und Anspruch. Das Leben erhält einen einmaligen Geschenkcharakter. Dahinter entdecken wir GOTT als den Schenkenden; wir finden DEN, der allein aus Liebe gibt und sich selbst verschenkt.
Die Fastenzeit möchte uns in eine neue Konzentration führen. „Zuweilen werden einem neue Augen geschenkt“, lesen wir bei Guardini. Eine Übung könnte sein, sich in diesen vorösterlichen Tagen vom Vielerlei des Sehens, Lesens und Betrachtens etwas zu verabschieden und in schlichter Weise auf das Kreuz zu schauen und dabei seiner unbegreiflichen Botschaft nahe zu kommen. Wir werden gleichsam hineingenommen in das Geheimnis der Liebe, dessen Mitte einem die Sprache verschlägt:
„Ich bin gemeint! Ich bin die, für die Jesus diesen Weg der totalen Entäußerung gegangen ist. Ich bin die, die Er über alles liebt. Ich, auch ich bin der Grund seiner Hingabe!“
Diese Wirklichkeit, meine ich, werden wir nie ganz erfassen können, weil sie göttlich ist, weil wir uns an diese Verfügbarkeit Jesu nur herantasten können: er lässt alles Planen los an den unbegreiflichen Willen seines Vaters, er bleibt der Hörende, der Gehorsame mitten in der dunkelsten Nacht, im Geführt werden „wohin du nicht willst“, im Versinken des Weizenkorns in die Erde. (nach Hans Urs von Balthasar)
In den kommenden Wochen Schritte in die Passion Jesu zu wagen, geht nicht spurlos an uns vorbei. Sie will uns zu österlichen Menschen machen. Was mag das heißen?
Wenn ein Mensch Tag für Tag mit Schmerzen lebt, wird er nicht wissen können, was es heißt, ohne Leiden gehen zu dürfen; ein blind geborenes Kind wird schwer beschreiben können, wie Farben sich zeigen. Ein Mensch, der sich über Jahre in einer Atmosphäre der Grobheit und Lieblosigkeit bewegt hat, wird kaum Zugänge zur Zärtlichkeit und zu einem vertrauensvollen Umgang mit anderen finden können.
Unser menschliches Dasein kennt Schuld und Sünde. Was es heißt, ohne sie leben zu dürfen als von Christus Erlöste und Befreite, können wir nur erahnen. Er will uns über uns hinausführen in sein Leben hinein, das Frieden bedeutet, einen Frieden, den nur er uns geben kann. Darum bleibt vielleicht unser einziges Vermögen, uns IHM zu öffnen und uns bereitzuhalten für das, was GOTT in uns wirken will.
Cristo te ama  -  Christus liebt Dich:
„Wenn mir der Geliebte, die Liebe, das größte Geschenk meines Lebens, nahe ist, wenn ich sicher sein kann, dass er, der mich liebt, mir auch in schwierigen Situationen nahe ist, dann empfinde ich im Grunde meines Herzens eine Freude, die größer als alles Leiden ist.“ (Papst Benedikt XVI.)

Mögen wir unser Sinne und unser Herz, unser ganzes Dasein in den kommenden Wochen auf Christus hin neu ausrichten dürfen. Mögen die se Wochen eine Zeit der Sammlung auf das Wesentliche unseres Lebens sein.
Denken wir an das und tun wir, was unser Herz, unseren Konvent und unsere Welt heiler macht. Öffnen wir uns der Vergebung und tragen wir einander im Gebet vor GOTT, der DIE Liebe ist.
Und Christus, der für uns alles getan hat, führe uns zusammen zu einer Gemeinschaft, in der die Liebe zu Hause ist. In Wort und Tat.

Christus segne unsere Wege und stärke uns.
Sehr herzlich,
Ihre
Sr. M. Scholastika


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