Sonntag, 18. Juli 2010

der gute Teil

Evangelium vom 16. Sonntag im Jahreskreis
Als sie weiter wanderten, kam er in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn in ihrem Haus auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria gerufen wurde. Die hatte sich dem Herrn zu Füßen gesetzt und hörte sein Wort. Marta aber musste sich schinden mit vielen Diensten. Und sie trat auf und sprach: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein dienen lässt? Sag ihr doch, dass sie mit mir zufasst. Der Herr aber hob an und sprach zu ihr: Marta, Marta! Du sorgst dich und regst dich über vieles auf; aber man braucht nur eins. Maria also hat sich den guten Teil gewählt, der ihr nicht genommen werden soll.
(Lk 10, 38-42, übersetzt von Fridolin Stier)
Ich glaube, ich war gerade mal drei Monate im Noviziat, da überfiel mich die erste existentielle Krise. Allerdings nicht, weil es mir an irgendetwas gefehlt hätte, oder mir die Decke auf den Kopf gefallen wäre, nein, sondern verrückterweise weil es mir einfach "zu gut" ging. Auf einmal nämlich bekam ich ein unglaublich schlechtes Gewissen, mich - wie es mir vorkam - in der Blüte meiner Schaffenskraft mal einfach so drei Jahre mehr oder weniger aus der (Arbeits-)Welt auszuklinken. Ich hatte auf plötzlich unendlich viel Zeit, tiefer zu mir selbst und zu Gott zu finden und durfte im Studium ganz nebenbei auch noch geistliche Nahrung vom Feinsten zu mir nehmen. Diese Brachzeit empfand ich als den puren Luxus - vor allem, wenn ich daran dachte, welches Arbeitspensum meine beiden leiblichen Schwestern zur gleichen Zeit mit Beruf und Familie Tag für Tag zu bewältigen hatten. Dieses schlechte Gewissen wurde so stark, dass ich mir schließlich vorkam, als sei ich der letzte Egoist. Doch irgendwann erkannte ich - Gott sei Dank!: Diese Zeit wird dir in deinem Leben nie wieder geschenkt, und du darfst zugreifen - JETZT ist der rechte Augenblick, um den Boden zu bereiten, auf dem du später dein ganzes Ordensleben lang unterwegs sein wird. Mir wurde bewusst, dass ich diese Zeit dringend nötig hatte, um Seinem Ruf auch wirklich mit Leib und Seele folgen zu können.
Um nun aber wieder auf das heutige Sonntagsevangelium zurückzukommen: Eigentlich war es ja zur damaligen Zeit ein Ungeheuerlichkeit, dass sich eine Frau wie Maria einfach so zu den Füßen Jesu setzt und ihm zuhört, statt - wie es ihr gebührt - für ihn zu sorgen und ihn zu bewirten. Das ist etwas, was vorher ganz und gar undenkbar war, eine völlig neue Rolle der Frau, die Jesus da begründet. Und man stelle sich einmal vor, wie schade es gewesen wäre, wenn Maria aus lauter Bescheidenheit und falscher Rücksichtnahme darauf verzichtet und diesen für sie bereiteten Platz gar nicht eingenommen hätte…
"Wir Christen haben kein Recht auf Bescheidenheit", hat uns einmal ganz krass ein Theologe gesagt. Und da ist wirklich etwas dran. Bescheidenheit an sich ist ohne Zweifel eine ganz kostbare Tugend, das möchte ich gar nicht in Frage stellen. Und doch verträgt sich falsch verstandene Bescheidenheit ganz und gar nicht mit dem Plan Gottes, der jede und jeden von uns immer wieder hinausrufen will ins je Größere. Und wenn ich spüre, dass es mir auf meinem Weg in Seiner Nachfolge hilft, mich ab und zu wie Maria Ihm zu Füßen zu setzen, einfach nur auf Sein Wort zu hören und Seine Nähe zu suchen, dann gilt es auch, mich mit allen Kräften dafür einzusetzen, mir im Alltag solche "heiligen" Zeiten freizuhalten - auch wenn mich der ein oder andere möglicherweise als Faulpelz bezeichnen wird. Sich so auch immer wieder von Seinem Wort herausrufen zu lassen aus dem Alltäglichen bewahrt uns sowohl vor Trägheit als auch vor einem falschen Aktionismus, davon bin ich fest überzeugt. Es hilft uns, uns der Größe unserer Berufung bewusst zu werden, die Herausforderungen des Lebens anzunehmen und so auch wirklich fruchtbar zu werden in der Welt, ohne uns dabei im Vordergründigen zu verstricken.
Sr. M. Ursula

2 Kommentare:

  1. Was für eine mutige Frau...

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  2. Mit diesem Evangelium hatte ich immer schon meine Probleme, weil ich es einfach ungerecht fand, dass Jesus Marias Verhalten dem der Martha vorzieht.
    Sr. Ursulas Ausführungen lenken meine Gedanken aber jetzt in eine ganz neue Richtung. Danke!

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